,,In den jüngsten Altersklassen fehlen die Einsteiger”

Rene Weiss führte ein Interview mit Kai Gerhardt (HHV-Viezepräsident).
Bericht in der Oberhessischen Zeitung Alsfeld vom 26.05.2021.

HHV-Vizepräsident Kai Gerhardt aus Waldernbach nimmt Stellung zur Situation im Handball und wünscht sich eine bessere Talentförderung.

Seit 2019 ist Kai Gerhardt Vizepräsident-Jugend des Hessischen Handball-Verbandes (HHV) und dazu Vorsitzender des Bezirks Gießen. Gemeinsam mit seinen Kollegen plant er weiterhin fleißig, wie der Spielbetrieb nach Corona aussehen könnte. Wir wünschen uns genauso wie die Spieler, dass die nächste Saison ausgetragen werden kann. ‘Wie sie aussieht, das weiß aber noch niemand”, sagt der Funktionär aus Waldernbach (Landkreis Limburg-Weilburg), der im Interview auf die seit inzwischen über einem Jahr anhaltenden besonderen Herausforderungen für Vereine und Verband eingeht.

Herr Gerhardt, Sie haben die hessischen Vereine im Namen des HHV-Arbeitskreises Jugend kürzlich darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Qualifikationsrunden zur Saison 2021/22 vor den Sommerferien nicht stattfinden werden. Was hat den Verband zu dieser Entscheidung bewogen in einer Zeit sinkender Inzidenzzahlen?

Wir müssen sehen, dass die Inzidenzen weiterhin deutlich zu hoch sind, als dass die Verordnungen einen regulären Trainingsbetrieb im Hallensport erlauben würden. ln manchen Bezirken kann es möglicherweise sein, dass die Grenzwerte früher unterschritten werden, aber es geht uns um eine hessenweite Lösung, die alle Vereine gleich behandelt. Ein Ungleichgewicht wäre aus den sportlichen Gesichtspunkten heraus nicht gerecht.

Im Jugendbereich wird mit Ausnahme der A-Jugend-Bundesliga seit über einem Jahr nicht mehr gespielt. Welche Reaktionen der Vereine erreichen Sie?

Der überragende Teil der Vereine stand von Anfang an hinter den getroffenen Entschlüssen, den Spielbetrieb auszusetzen. Aber natürlich befand sich unter den Rückmeldungen die komplette Bandbreite von ,,es ist doch verrückt, überhaupt etwas zu planen” bis hin zu ,,wir würden gerne heute Abend direkt mit dem Training loslegen”. Die Unterschiedlichkeit hat natürlich mit den regionalen Begebenheiten zu tun. Wenn ich mich an das vergangene Jahr zurückerinnere, war in der Region Offenbach schon sehr früh alles dicht, während man in Nordhessen auch im Oktober noch hätte spielen können. Insgesamt sehen die Vereine die Situation realistisch. Und im Nachhinein muss man sagen, dass es richtig war, die Saison 2020/21 nicht aufzunehmen und den Spielbetrieb dann auch abzubrechen. Wenn wir zum Beispiel im Herbst zu Saisonbeginn vier Spieltage ausgetragen hätten, hätte das am Ende auch nichts gemacht.

Der Bezirk Wiesbaden-Frankfurt hat kurz vor dem Jugend-Meldeschluss für die Saison 2021/22 bekannt gegeben, dass die Meldung ungefähr 15 Prozent hinter dem Vorjahreswert liegt. Sind das schon Corona-Auswirkungen?

Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Ich gehe davon aus, dass viele Clubs aus dem Breitensport einfach noch nicht kalkulieren können, wer überhaupt zur Verfügung steht, wenn das Training wieder beginnt. Viele bieten Online-Trainings an, aber die ersetzen kein reales Training. Wir hoffen natürlich, dass die. Zahl der Kinder und Jugendlichen, die mit dem Handball aufhören, oder nicht neu begonnen haben, nicht zu groß ist. Es gibt .in anderen Sportfachverbänden auch die Hoffnung, dass es vielleicht sogar einen .Zuwachs geben könnte, nachdem so Iange Zeit kein Vereinssport möglich war. Das würden wir ‘Handballer uns auch wünschen. Am kritischsten sehe ich die Situation in den jüngsten Altersklassen, wo uns die Einsteiger fehlen. Das kann für die Zukunft ein Problem werden, wenn man dieses vermeintliche Loch mit hochzieht und dauerhaft ganze Jahrgänge fehlen sollten.

War es durch den Wegfall des Spieljahres 2020/21 ein Thema, die Jahrgangskonstellationen für die nächste Runde zu übernehmen, damit die Spieler ihr zweites Jahr in einer Jugendklasse nicht komplett verlieren?

Es gab eine Initiative dazu. Solch einen Beschluss kann ein Landesverband jedoch nicht fassen. Darüber entscheidet der Deutsche Handball-Bund. Dort befasste man sich mit der Thematik, nach ausführlichen Überlegungen sah der DHB davon jedoch aufgrund weitreichender Auswirkungen ab. Zum Beispiel ging es darum, dass die Änderung irgendwann wieder hätte revidiert werden müssen. Somit wäre die jetzige Situation nur in die Zukunft geschoben worden. Auch ging es dabei um Planungen im Seniorenbereich, wo die Nachrücker aus der A-Jugend weggefallen wären.

Im Leistungssport kann sich der hessische Nachwuchs-Handball sehen lassen. Die Hessenauswahl zum Beispiel hat sich in den vergangenen Jahren bei den Ländervergleichen unter den Besten in Deutschland etabliert Vieles machen die Vereine als Grundlage so gut?

Bezüglich der Verbandsauswahlen muss man Unterschiede zwischen einem . Flächenland wie Hessen und zum Beispiel Berlin vornehmen, wo der Handball auf ein Internat konzentriert ist. Die Voraussetzungen sind allein schon durch die Anzahl der wöchentlichen Trainingseinheiten ganz unterschiedlich. Dafür holen wir sehr viel aus unseren Möglichkeiten heraus. Dahinter steckt eine breite, auf alle Spieler bezogene Ausbildung. Eine Einzelspielerausbildung ist überholt. Es kommt darauf an, alle in sämtlichen Bereichen zu entwickeln.

Welche Wünsche würden Sie in Sachen Förderung der Spieler im Übergang vom Jugend- in den Erwachsenenbereich insbesondere den hessischen Profivereinen gegenüber äußern?

Wünschen würde ich mir, dass sich so viele hessische’ Talente wie möglich im Profibereich durchsetzen, aber dafür gibt es natürlich nicht genügend freie Plätze und fünf Spieler mit Bundesliga-Potenzial kommen auch nicht in jedem Jahr aus dem Nachwuchs heraus. Trotzdem wäre es wünschenswert, dass die Vereine mehr auf. regionale Talente setzen. Die Anschlussförderung in der 2. Mannschaft ist dabei entscheidend.

Quelle: Bericht in der Oberhessischen Zeitung Alsfeld vom 26.05.2021